Quelle: Süddeutsche Zeitung Kommentare: Nicht im Namen des Volkes
Sind Kinder aus sozial schwachen Familien weniger Wert als solche aus „normalen“ Verhältnissen? Ist es unsinnig, sie vor
sexueller Gewalt zu schützen, weil sie ohnehin „milieugeschädigt“ sind? Es liest sich abenteuerlich, mit welchen Argumenten ein Richter des Oberlandesgerichts verfügte, einen 64-jährigen Päderasten aus der U-Haft zu entlassen.
Warum kann ein Richter bei einer routinemäßigen Haftbeschwerde zu so weitreichenden Feststellungen kommen wie jener, dass die Opfer des Päderasten durch die sexuelle Gewalt „keine erkennbare Schädigung“ erlitten hätten? Welche Folgen solche Formulierungen
haben, kann man inzwischen auf den einschlägigen Internetseiten besichtigen. Dort jubeln Pädophile: Endlich habe „mal ein Gericht offiziell festgestellt“, dass Kinder „Interesse und Spaß an derartigen Dingen“ hätten.
Die Justiz handelt im Namen des Volkes. Das bedeutet auch, dass Juristen ihre Entscheidungen der Öffentlichkeit erklären müssen. Es geht nicht, dass der betroffene Richter auf Fragen lediglich antwortet, er gebe „keine Stellungnahme“ ab. Juristen können irren, doch sie
müssen ihre Fehler auch korrigieren.
Wie die SZ gestern erfuhr, beriet die zweite Instanz - es handelt sich um die 20. Strafkammer am Landgericht München I - Ende Oktober über den Fall. Der Vorsitzende Richter, Norbert Riedmann, hob das Urteil des Amtgerichts auf. Riedmann ist nämlich der Auffassung, dass Ludwig E. möglicherweise „vermindert schuldfähig ist“. Aus Polizeiberichten geht hervor daß es sich
hierbei um ein lehrbuchmäßiges vorgehen Handeln soll. Dieses läßt den Schluß zu, daß es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt, und daß das Wissen in der einschlägigen Szene weitergegeben wird. |